Ökosysteme: Nischenthema oder unausweichliche Zukunft?

Vergangenen Mittwoch kamen wir zum zweistündigen Austausch zum Thema „Ökosysteme: Innovieren im Netzwerk“ zusammen. Ökosystemansätze versprechen Innovations- und Wachstumspotential, aber auch neue, monopolähnliche Wettbewerber sowie den Verlust der Kundenschnittstelle. Mit dem steigenden Interesse an Ökosystemen werden auch Zweifel laut, ob es gerade kleinen und mittelständischen Versicherern überhaupt gelingen kann, gegen die großen Ökosystemakteure wie Apple, Amazon oder Alphabet anzukommen. Im Jahresauftakt zum Thema „Ökosysteme“ gaben wir einen Einblick in bestehende Ökosysteme und diskutierten die Bedeutung dieser Wirtschaftsform. Dabei zeigten wir nicht nur, wie es ersten Wettbewerbern bereits gelingt, durch entsprechende Ansätze neue Ertragsquellen zu erschließen, sondern diskutierten gemeinsam mit den Entscheidungsträgern aus der Versicherungswirtschaft verschiedene Thesen. Die wesentlichen Erkenntnisse habe ich im Beitrag zusammengefasst.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Ökosystem Innovationsmanagement
Ökosysteme: Nischenthema oder unausweichliche Zukunft?

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Wie schätzen Sie die Relevanz von Ökosystemen ein?

Die über 30 Teilnehmer des Austausches waren sich weitgehend einig: Ökosysteme werden kein Nischenthema sein, sondern ihnen wird, wie bereits von Unternehmens- und Strategieberatungen[1] prophezeit, eine wichtige Rolle zukommen,  die die Kundenerwartungen nachhaltig beeinflusst und auch die Akteure in unserer Branche zum Handeln zwingen wird. Bei der erfolgreichen Platzierung in Ökosystemen wird Schnelligkeit ein wichtiger Faktor sein – egal welche Rolle in welchem Lebensbereich als erstrebenswert erachtet wird. Die Erfahrung mit Oligopolen in der Plattform-Economy kann als erster Vorgeschmack auf das verstanden werden, was künftig zu fürchten ist. Es wird nur wenige umfassende, omnipräsente Ökosysteme geben und die Anzahl der beteiligten Komplementäre einer Branche werden begrenzt sein, im Besonderen bei redundanten Services und Produkten.

Sind Versicherer in der Lage, Ökosysteme zu orchestrieren?

Die beteiligten Versicherer selbst sehen sich und ihre Rolle noch recht unscharf im Ökosystem. Die Frage, ob es einem Versicherer gelingen kann, Orchestrator einer entsprechenden Initiative zu sein, wurde heiß diskutiert. Auch wenn es in der Öffentlichkeit vielfach negative Aussagen dazu gibt, schwang in den Gesprächen auch etwas Hoffnung mit. Die erlebte Abhängigkeit von namenhaften Plattformanbietern wie Check24 hat sensibilisiert. Keiner will von der Kundenschnittstelle abgeschnitten sein, daher ist die Rolle des Orchestrators sehr interessant. Andererseits sind sich die Versicherer auch im Klaren, dass diese Rolle erhebliche Herausforderungen mit sich bringt: Neben dem Investitionsvolumen, wurden hier im Besonderen das erforderliche technische Know-how genannt. Deswegen lag der Gedanke nahe, dass es wohl vornehmlich die Branchenriesen sind, denen es gelingen könnte.

Doch die im Impuls vorgestellten Use Cases von Signal Iduna und Helvetia zeigten, dass es auch anders geht: Das fehlende IT-Know-how könnte mit strategischen Partnerschaften ausgeglichen werden. Als Versicherer sei man in den relevanten Themenfeldern bereits gut vernetzt und mit den entscheidenden Knotenpunkten im Austausch. Diese Stellung könnten auch kleine und mittelständische Versicherer nutzen, um ein Ökosystem zu orchestrieren.

Die Kundenschnittstelle ist in Gefahr, wenn Versicherer sich nicht rechtzeitig in den entstehenden Ökosysteminitiativen beteiligen. Aber eben auch, wenn sie als Risikoträger die Rolle des Realizers[1] oder sogar „nur“ des Enablers[2] befüllen. Auch in der Diskussion stellte sich deutlich heraus, dass es als recht unattraktiv empfunden wird, als reiner und austauschbarer Produktgeber aufzutreten. Die Option wird dennoch nicht als völlig absurd, sondern teilweise als erstrebenswertes Ziel wahrgenommen. Um im Wettbewerb unter den Risikoträgern hervorstechen zu können, wurde individualisierter, situativer und schnittstellenoptimiert Versicherungsschutz genannt, der frühzeitig und proaktiv an entstehenden oder bereits bestehende Ökosysteme herangetragen wird, um existierende Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Um das Versicherungsprodukt entsprechend der Ökosystem-Economy weiterzuentwickeln, könne man sich auf Prävention konzentrieren oder beispielsweise bekannte Services, wie den Handwerkerservice, auch unabhängig vom Schadenfall anbieten. Die datengetriebene Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern wird auch dabei Basis für einen Wettbewerbsvorteil sein. 

Was sind die größten Herausforderungen?

Stellt man sich als klassischer Akteur der Versicherungsbranche der neuen Ökonomie, sei es als Orchestrator eines Ökosystems oder auch „nur“ als Komplementär, ergeben sich diverse Handlungsfelder und Herausforderungen, wie unserer Umfrage beweist. 

Überraschend ist dabei, dass die hochpriorisierten Themen vielfach eine Frage der Haltung, des Mindsets und der Unternehmenskultur sind. Um dem befürchteten Widerstand aus den klassischen Vertriebswegen vorzubeugen, wurde als eine mögliche Lösung genannt, das Ökosystemgeschäftsmodell so zu gestalten, dass es auch auf Seiten des Vertriebs Mehrwerte generiert. Das allerdings ist nur schwer vorstellbar, wo doch Erlösmodelle in Ökosystemen schon per se eine hohe Komplexität mit sich bringen, da sie mehreren Stakeholdern gerecht werden müssen. Auch ohne ein solches „Kind aus erster Ehe“. Neben den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wurde außerdem die Relevanz von Daten, die Datenverfügbarkeit und das Datenmanagement als eine große Herausforderung identifiziert.

Wer ist eigentlich zuständig?

Auffällig war, dass die Teilnehmer das Thema „Ökosystem“ noch nicht fest in der Organisation verortet hatten. Obwohl entsprechende Initiativen bei allen auf Vorstandsebene präsent seien, fanden sich die Projektverantwortlichen querbeet in quasi allen Abteilungen – neben dem Management waren es insbesondere die Produktentwicklung, Unternehmensentwicklung, aber auch Schaden/ Leistung und IT. Die Diskutanten waren sich der kommenden Herausforderung bewusst, Projekte und Initiativen auch in die Linie zu überführen.

Der ein oder andere mag sich nun fragen, warum wir trotz der wahrgenommenen Relevanz des Themas noch recht wenige Ökosysteminitiativen aus der Branche vorfinden. Das liegt auch an dem nur langsam abnehmenden Erfolg des klassischen Geschäftsmodells. Hier sollte die Branche wachsam sein und nicht die gleichen Fehler machen, wie beispielsweise Kodak oder Nokia.

Infobox mit Verweis auf den Partnerkongress am 4./5. März 2021

[1] Fast ein Drittel des weltweiten Umsatzes in allen Industriezweigen wird in 2025 durch Ökosysteme erwirtschaftet werden und weiter steigen. (McKinsey & Company: Aus Konkurrenten werden Partner, 2019)

[2] Realizer sind direkt an der Schaffung der Angebote des Ökosystems beteiligt. 

[3] Enabler liefern Partnern im Ökosystem Produkte und Services, mithilfe derer die Produktion für den Endkunden erst ermöglicht wird.

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