Großraumbüro und Persönlichkeit

Während der Corona-bedingten Kontaktsperre mussten die meisten Unternehmen ihre Mitarbeiter notgedrungen ins Home-Office schicken. Wir, als Arbeitnehmer, sind inzwischen mit den Vor- und Nachteilen vom Home-Office gut vertraut. Momenten wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob Home-Office auch weiterhin zum regulären Arbeitsalltag gehören wird. In meinem Beitrag möchte ich mich aber nicht den neuen Arbeitsweisen in Folge der Corona-Pandemie widmen, sondern das Großraumbüro unter die Lupe nehmen.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Arbeitswelten/NewWork
Großraumbüro und Persönlichkeit
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Großraumbüro: Die Lauten und Stillen

Das Konzept Großraumbüro bringt zuerst ökonomische Vorteile, wie effiziente Flächennutzung und Kostenreduzierung. Zudem wird das Konzept häufig mit der Flexibilität, Kreativität, Offenheit, Hierarchiefreiheit und dem sozialem Austausch assoziiert. Neben den positiven Aspekten wird das Konzept wegen möglicher negativer Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Arbeitnehmer auch kritisch betrachtet. Dabei sind insbesondere Faktoren wie Lärmpegel, Temperatur, Luftqualität und Lichtverhältnisse zu berücksichtigen. Nicht zuletzt können auch soziale Interaktionen, die im Arbeitsumfeld grundsätzlich positiv bewertet werden, zur Störquelle werden. Hierzu zählen private Gespräche zwischen den Kollegen, die von unbeteiligten Mitarbeitern als belastend wahrgenommen werden. Häufig kommen solche Gespräche von wenigen Mitarbeitern, die im Allgemeinen als redselig und gesellig gelten. Unter ihren ausgeprägten Mitteilungsbedürfnissen leiden in der Regel die ruhigen Mitarbeiter, die aus Höflichkeit oder um mögliche Konflikte zu vermeiden, die lauten Kollegen nicht unterbrechen und auf unterschiedliche Strategien, wie z.B. Kopfhörer-Aufsetzen, zurückgreifen, um weiterhin konzentriert zu arbeiten. Sind die Stillen zu passiv? Oder die Lauten zu rücksichtlos? Woher kommen diese Unterschiede? 

Interindividuelle Persönlichkeitsunterschiede

Wir Menschen unterscheiden uns trotz desgleichen Alters und/oder soziokulturellen Hintergrunds in vielen Aspekten unserer Persönlichkeit voneinander und sind dadurch einzigartig. Unter der Persönlichkeit wird die Gesamtheit individueller Besonderheiten im Erleben und Verhalten eines Menschen verstanden, die über einen längeren Zeitraum (z. B. Wochen oder Monate) relativ stabil bleiben. Sie beeinflussen die Art und Weise von uns, wie wir bestimmte Ereignisse in der Umgebung wahrnehmen und darauf reagieren. Diese Unterschiede entstehen in der Wechselwirkung zwischen vielen internen (z. B. neuronale Aktivität) und äußeren Faktoren, wie Erziehung und Erfahrungen.  

Im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts prägte Carl G. Jung die Begriffe Extraversion und Introversion. Diese Typologien gewannen breite Anwendung und lassen sich als Gegenpole einer Persönlichkeitsdimension verstehen, die durch Interaktion mit der sozialen Umwelt charakterisiert wird. Jeder von uns hat zwar etwas von den beiden Zügen, aber dennoch ist die Persönlichkeit bei vielen Menschen in eine Richtung stärker ausgeprägt.

So fokussieren sich die Introvertierten stärker auf ihr Innenleben, währenddessen die Extravertierten sich durch ihre „nach außen“ gerichtete Haltung kennzeichnen. Diese Unterschiede spiegeln sich durch Verhaltensweisen in bestimmten Situationen deutlich wider. Beispielsweise bevorzugen die Stillen eher eine ruhige Umgebung, in der sie den nötigen Raum und Zeit für sich selbst finden. Hingehen fühlen sich die Extrovertierten unter Menschen gut aufgehoben und positiv angeregt.

In der Arbeitswelt der westlichen Länder scheint es, dass positive Attribute wie Offenheit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Attraktivität häufiger den Extrovertierten zugeschrieben werden. Darüber hinaus werden sie im Vergleich zu den Anderen als kompetenter und vertrauenswürdiger wahrgenommen. Es ist nicht überraschend, denn die Extrovertierten melden sich beispielsweise in Meetings häufiger zu Wort, zeigen ihre Emotionen offen und gewinnen dadurch auch mehr Sympathie. Ferner ist es heute sozial erwünscht, extrovertiert zu sein.

Hingegen werden die Stillen in ihren Fähigkeiten und Kompetenzen häufig unterschätzt: Sie werden meistens als schüchtern und zurückhaltend wahrgenommen. Da sie ihre Meinungen und Gedanken nicht sofort äußern und/oder wenig Emotionen zeigen, wird ihnen eher misstraut. Aber das geschieht zu Unrecht, denn wer ihre ruhige, stille Art mit Schüchternheit und Schwäche verbindet, macht einen großen Fehler. In der Tat denken introvertierte Menschen einfach gründlicher, arbeiten konzentrierter und brauchen dafür eine reizärmere Umgebung, als die extrovertierten Kollegen. Unter ihnen sind viele kreative Köpfe und prinzipientreue, loyale Mitarbeiter zu finden.

Eigentlich braucht die Arbeitswelt beide Persönlichkeitstypen gleichermaßen. Trotzdem werden die Bedürfnisse der Persönlichkeitstypen ungleichmäßig berücksichtigt, insbesondere im Großraumbüro. In offenen Räumen mit vielen Störquellen kommen die Extrovertierten aufgrund ihrer Besonderheiten vergleichsweise besser zurecht als die Ruhigen.

Dennoch brauchen auch die Extrovertierten Rückzugmöglichkeiten, insbesondere wenn es um konzentriertes Arbeiten geht. Also gibt es – neben den individuellen Bedürfnissen – auch weitere spezifische Faktoren, die bei der Gestaltung berücksichtigt werden sollten. So stellt man sich die Frage: Wie kann man ein Büro so gestalten, dass sich alle wohlfühlen und effizient zusammenarbeiten?

Balance zwischen Ruhe und Gemeinschaft = Multifunktionalität

Die beiden Persönlichkeitstypen können sich in einem Team gegenseitig gut ergänzen und gemeinsam viel erreichen. Dafür müssen allerdings förderliche Rahmenbedingungen und Strukturen vorhanden sein. Die zwischenmenschlichen Missverständnisse und Konflikte im Großraumbüro, die durch Unterschiede entstehen, können zunächst durch die Einführung bestimmter Verhaltensregeln vermieden oder verringert werden. Zudem bieten Remote- Optionen, wie Home-Office, den Arbeitnehmern auch Abwechslungen und Ausgleich an. Trotz dieser Optionen sollen sich die Mitarbeiter – unabhängig von ihren eigenen Persönlichkeiten – in einem Unternehmen miteinander verbunden, gleichberechtigt und wertgeschätzt fühlen.  

Umso wichtiger ist es, die Büros noch individueller und intelligenter zu gestalten und auf die Bedürfnisse der Menschen näher einzugehen. Alle sollten sich schließlich sowohl während der Arbeit als auch in den Pausen im Unternehmen wohlfühlen. Experten sagen, dass die Mischformen zwischen verschiedenen Bürokonzepten zukünftig mehr an Bedeutung gewinnen wird. Diese Entwicklungen kann man auch aktuell bei großen Unternehmen wie Google beobachten. Google entwickelt seine Arbeitsorte in Anlehnung an einen Campus und gestaltet die Büros multifunktional, in denen räumliche Möglichkeiten für die Privatheit und Gemeinsamkeit gleichermaßen vorhanden sind. Die Arbeit erfolgt hier beispielsweise in einem offenen Büro, wechselt aber zwischendurch in Einzelbüros oder ruhige Ecken. Für Telefonate und private Gespräche dient die Telefonzelle oder das Café.

Zusammengefasst: Moderne Büros sollten als multifunktionale Begegnungsorte dienen, in denen die individuellen Bedürfnisse der Menschen mehr Aufmerksamkeit gewinnen und durch neue Raumkonzepte diesen Rechnung getragen wird.

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