Nachhaltigkeit in der Versicherungswirtschaft

Was als Streik einer einzelnen Schülerin im Sommer 2018 vor dem schwedischen Parlament begann, hat sich in den letzten eineinhalb Jahren zu einer internationalen Bewegung entwickelt. Weltweit fanden Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung in mehr als 150 Ländern statt, um Politik, Industrie und Bevölkerung für Klimaschutz und Umweltbewusstsein zu sensibilisieren. Zwei Drittel der Deutschen schätzen, Angaben des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zufolge, die Klimathematik als eine der Top-3-Herausforderungen unseres Landes ein. Wie sich der Wandel hin zu einem nachhaltigerem Lebensstil vollziehen lässt, ist Inhalt zahlreicher Debatten und Initiativen. Auch in Unternehmen spielen Nachhaltigkeitsaspekte eine immer größere Rolle, werden zum Teil sogar gesetzlich gefordert. Nachhaltigkeit bezieht sich dabei allerdings nicht ausschließlich auf Umweltthemen, sondern umfasst auch Fragestellungen aus dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext. Die Versicherungsbranche bildet an dieser Stelle keine Ausnahme, sondern setzt sich mit der Thematik auf vielfältige Art und Weise auseinander. Sei es bei der Auswahl ihrer Kapitalanlagen oder der eigenen strategischen Unternehmensaufstellung, über deren Nachhaltigkeit auch Rechenschaftspflichten bestehen.

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Strategie & Innovation
Themen:
Governance
Nachhaltigkeit in der Versicherungswirtschaft

Nachhaltige Entwicklung ist ein staatenübergreifendes Ziel

Die aktuellen Umweltdiskussionen und Klimaproteste haben das Thema Nachhaltigkeit wieder verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Nachhaltigkeit bezieht sich allerdings nicht ausschließlich auf Umweltthemen, sondern umfasst auch Fragestellungen aus dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext. Themen, die nicht nur den einzelnen Menschen im Kleinen, sondern auch ganze Länder beschäftigen können und sollten.

So ist eine nachhaltige Entwicklung unserer Erde erklärtes Ziel der Vereinten Nationen, das 2015 in der Agenda 2030 festgeschrieben wurde, um die globalen Herausforderungen unserer Zeit auch gemeinschaftlich zu lösen.

Ziel der Agenda ist die wirtschaftliche Weiterentwicklung im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit und im Rahmen der ökologischen Grenzen unserer Erde. Die Agenda 2030 gilt für alle Staaten, unabhängig ob Industrienation, Schwellen- oder Entwicklungsland.

Kernstück ist ein Katalog mit 17 Zielen (Sustainable Development Goals, SDGs), die Soziales, Umwelt und Wirtschaft erstmalig gleichermaßen berücksichtigen.

Den Zielen sind folgende fünf Kernbotschaften vorangestellt:

  • Eine Welt ohne Armut und Hunger ist möglich
  • Klimawandel begrenzen, natürliche Lebensgrundlagen bewahren
  • Globalisierung gerecht gestalten
  • Menschenrechte und gute Regierungsführung fördern
  • Global gemeinsam voranschreiten

Die Ziele und Kernbotschaften sollen bei politischen Entscheidungen, unternehmerischem Handeln und gesellschaftlichem Zusammenleben als Richtungspfeiler dienen und in konkreten Maßnahmen münden.

 

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EU-Aktionsplan für mehr Nachhaltigkeit in der Finanzbranche

Auch in der Finanzbranche spielt das Thema Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle. Dabei ist nicht nur die Branche selbst an nachhaltigem Wirtschaften interessiert, sondern auch übergeordnete Interessenvertreter. Da die Finanzindustrie etwa 15 bis 20 Prozent der weltweiten Assets verwaltet, kommt ihr eine immense Hebelwirkung bei der Umsetzung nachhaltigen Wirtschaftens zu. Diese Finanzsummen in die „richtigen“ Geschäftsmodelle investiert, ist die effektivste und effizienteste Transformationsbewegung zu mehr Nachhaltigkeit in der Realwirtschaft.

Auch die EU hat diese Strahlkraft erkannt und sich in den letzten Jahren intensiv mit der Umsetzung von „Sustainable Finance“ im Rahmen einer Expertengruppe auseinandergesetzt. Diese stellte im März 2018 einen EU-Aktionsplan zur Umsetzung vor.

Der Aktionsplan definiert zehn Bereiche, die zu mehr Nachhaltigkeit der Finanzbranche beitragen sollen. Ziel ist es, damit einen Rechtsrahmen zu schaffen, der den Finanzsektor dabei unterstützt, den mit Klimawandel und Umweltherausforderungen verbundenen Risiken Rechnung zu tragen, und der dazu beiträgt, private Kapitalflüsse in nachhaltige Investitionen zu lenken.

Die Maßnahmen betreffen sowohl Finanzprodukte als auch die Anlageberatung und die Organisationsstruktur von Kapitalverwaltungs-gesellschaften. Außerdem soll die Branche transparenter werden. Dafür hat sich die Kommission einen umfangreichen Katalog an neuen Offenlegungs- und Reporting-Pflichten ausgedacht.

Allerdings werden aktuell schon einzelne Maßnahmen als zu komplex angesehen, sodass sie in ihrer Vielfalt und Gesamtheit kaum noch überschaubar sind. Zudem sind viele der Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen.

Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche

Allein aufgrund des EU-Aktionsplans, dessen Ziel es ist, Investitionsströme in nachhaltige Kanäle zu lenken, Nachhaltigkeitsrisiken in der Unternehmensstrategie zu berücksichtigen und Transparenz zu fördern, wirkt sich die Nachhaltigkeitsthematik auf Bereiche des Risikomanagements, der Unternehmensführung und des Rechnungswesens aus. Produktinformationen gilt es, um Nachhaltigkeitsaspekte zu ergänzen und diese auch im Underwriting zu berücksichtigen.

Auch in Vertrieb und Kundenberatung muss das Thema zukünftig stärker berücksichtigt werden. So wird die Änderungsverordnung von MiFID II und IDD, die in Kürze veröffentlicht werden wird, vorsehen, dass der Kunde neben seinen Anlagezielen, Risikobereitschaft und Verlustabsorptionsfähigkeit auch zu seinen Präferenzen bzgl. Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekten gefragt wird. Diese Informationen müssen sowohl von Vermögens-, Finanzberatern und Asset Managern als auch von Versicherungsvermittlern erhoben und entsprechend berücksichtigt werden, was auch mit einem entsprechenden Schulungsbedarf der Berater einhergehen wird.

Nachhaltige Investments

Über die potentielle Strahlkraft der Investitionsstärke der Finanzbranche für nachhaltige Investments wurde bereits berichtet, doch wie äußert sich diese konkret in der Assekuranz?

Die Bedeutung einer nachhaltigen Kapitalanlage und die Erweiterung der Entscheidungsbasis um ESG-Kriterien ist in den letzten Jahren gestiegen. Medienwirksame Ankündigungen wie beispielsweise die Bekanntmachungen der Munich Re und Hannover Re aus der Kapitalanlage und/oder Versicherung von Kohlekraftwerken auszusteigen, unterstreichen diese Entwicklung, die durch regulatorische Anforderungen weiter befeuert wird.

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Wie der Ergebnisbericht zur Nachhaltigkeitsstudie 2019 von Union Investment zeigt, berücksichtigen in der Versicherungswirtschaft aktuell 69 Prozent der Versicherungsunternehmen Nachhaltigkeitskriterien bei Anlageentscheidungen. Dabei werden rund 62 Prozent der Assets nach Nachhaltigkeitskriterien angelegt, etwas mehr als der Durchschnitt, der bei den institutionellen Anlegern insgesamt bei 56 Prozent liegt.

Die Berücksichtigung der Kriterien findet nach Angaben der Befragten auf einem mittleren Niveau statt. Im Vergleich dazu gaben insbesondere Stiftungen und Kirchen an, Nachhaltigkeitskriterien sehr stark bis stark in der Kapitalanlage zu berücksichtigen.

Entscheidender Impuls, sich mit nachhaltiger Kapitalanlage auseinander zu setzen, sind die sich verändernden regulatorischen Anforderungen – 70 Prozent der befragten Versicherer nannten diesen Punkt. Aber auch Motivatoren wie die Werte oder die Verantwortung des eigenen Unternehmens wurden von den Befragten als entscheidende Punkte genannt.

Einmal damit begonnen, können sich nur elf Prozent aller befragten institutionellen Anleger einen Ausstieg aus der nachhaltigen Kapitalanlage vorstellen. Denn insgesamt ist die Zufriedenheit mit diesen Investments hoch: 57 Prozent aller Befragten zeigen sich zufrieden, nur drei Prozent unzufrieden. Von den befragten Versicherern äußerte sich sogar keiner unzufrieden, dafür aber 58 Prozent zufrieden. Entsprechend gehen nahezu alle Befragten auch stark davon aus, dass das Volumen nachhaltiger Kapitalanlagen (stark) wachsen wird oder zumindest gleich bleibt.

Renditerisiken verbinden auch die wenigsten Anlageentscheider mit nachhaltigen Investments. Mehr als zwei Drittel der institutionellen Anleger, die sowohl nachhaltig als auch klassisch anlegen, gaben an, dass sich die nachhaltigen Portfolios zumindest ähnlich, wenn nicht sogar besser entwickelt hätten. Bei Versicherungen liegt dieser Anteil bei knapp 60 Prozent. Gleichzeitig schreibt die Mehrheit der Befragten den Portfolios Risikovorteile zu.

Um Nachhaltigkeitsaspekte bei Anlageentscheidungen zu berücksichtigen, setzen drei Viertel der befragten Anleger auf bestimmte Verfahren, wobei Ausschlusskriterien am häufigsten Anwendung finden.

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