Peer-to-Peer-Versicherung – alte Werte neu definiert

Lukas Kunert

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Analytik & IT
Themen:
Peer-to-Peer-Versicherung – alte Werte neu definiert

Die Sharing Economy ist im Versicherungsbereich schon lange angekommen, denn hier wird von Beginn an das Risiko aller auf alle verteilt. Mit Peer-to-Peer (P2P) wird dies noch einmal intensiviert, denn hier wird das Risiko innerhalb einer Gruppe geteilt. Nicht selten kennen sich die Peers. Laut einer Bitkom-Umfrage aus dem Jahr 2018 ist das Konzept bei den befragten deutschen Bundesbürgern jedoch noch recht unbekannt, ein Großteil der Befragten betrachtet das Modell eher skeptisch (21 Prozent) oder schließt es gar aus (62 Prozent). Am positivsten gestimmt war die Altersklasse zwischen 30 und 49 Jahren. Rund jeder Fünfte (19 Prozent) konnte sich hier vorstellen, ein entsprechendes Angebot zu nutzen.

In den letzten Jahren hat sich bei den Peer-to-Peer-Versicherern einiges getan und sie gelten inzwischen nicht mehr als Exoten. Start-ups wie Guevara (GB), Axieme (Italien) oder CommonEasy (Niederlande) sind als Peer-to-Peer-Versicherer oder -Vermittler bereits aktiv. Seit 2018 ist mit elinor in Deutschland eine weitere Peer-to-Peer-Absicherungsplattform auf dem Markt. elinor sieht sich selber als Plattform für organisierte Solidarität. Das Ziel ist es, alternative Formen der sozialen Absicherung zu bilden und die Versicherungsbranche neu zu gestalten. Wie das aussieht, darüber haben wir mit Lukas Kunert, Geschäftsführer und Hauptinitiator des Projekts, gesprochen.

 

„Wir verstehen uns als eine Ermöglichungs- und Gestaltungsplattform und freuen uns sehr, wenn Kunden*Innen die Initiative ergreifen und wir sie bei der Entwicklung der neuen Angebote unterstützen können.“

Was ist der Grundgedanke hinter Elinor?

elinor ist aus der Idee entstanden, das Solidaritätsprinzip in der Versicherungswelt wieder erlebbar zu machen. Risikoteilung wird von den Kunden nicht mehr als Solidarität wahrgenommen. Die meisten Versicherungsnehmer*Innen sehen sich nur noch als Kunde*In von Versicherungskonzernen und erleben darin ein einseitiges Machtverhältnis. Die Qualität und Kraft, die wir durch unser aller Beiträge schaffen, um Einzelnen in Not zu helfen – z. B. einer Familie nach einem Brand ein neues Haus zu ermöglichen oder einer Schülerin ein geklautes Fahrrad zu ersetzen – ist scheinbar verloren gegangen.

Die Grundfrage hinter elinor ist: Wie schaffen wir einen Raum, der transparent und partizipativ ist und dabei gleichzeitig Schutz und Sicherheit bietet? Bei der Gestaltung eines solchen Raumes haben wir uns von der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom und ihrer Forschung zu den Commons inspirieren lassen.

Was unterscheidet euch von anderen Peer-to-Peer-Versicherern?

Da es mittlerweile sehr viele Anbieter weltweit gibt, fällt diese Frage etwas schwer. Ein wesentliches Merkmal von uns liegt darin, dass wir peer-to-peer in „purer” Form anbieten, d. h. dass die gesamte Absicherung peer-to-peer erfolgt. Bei manchen Anbietern kann man zum Beispiel nur den Selbstbehalt peer-to-peer absichern, während ansonsten eine „normale” Versicherungspolice gilt.

Außerdem sind wir zu 100 Prozent digital und damit effizienter und schneller als die analogen Peer-to-Peer-Solidargemeinschaften. Auf der anderen Seite gehen wir nicht so weit wie z. B. eine russische Peer-to-Peer-Plattform, bei der auch die Gelder dezentral in Kryptowährungs-Wallets liegen. Dieser Ansatz ist sehr interessant, jedoch sind viele Nutzer*innen davon überfordert: Letztlich wollen sie einfach eine Absicherung.

Bei euch findet kundenzentrierte Produktentwicklung statt, denn bei euch kann der Kunde selber entscheiden, was er absichern möchte und kann so auch eine eigene Peer-Gruppe ins Leben rufen. Wie funktioniert das?

elinor ist Anbieter von IT-Infrastruktur für Peer-to-Peer-Absicherungsgruppen. Zu unserer Plattform gehören ein Vertragserstellungstool, Kontoinfrastruktur, Abstimmungstools und Räume zur Kommunikation. Wir stellen den Peer Groups also alle notwendigen Tools zur Verfügung, damit sie schnell und einfach eine gewünschte Absicherung gestalten können, ohne selbst zu Versicherungsexperten werden zu müssen.

In der aktuellen Startphase kann jede*r Nutzer*in einen neuen – auch sehr ungewöhnlichen – Absicherungsgegenstand anlegen und eine Gruppe gründen. Wenn sich dann Menschen finden, die das gleiche Bedürfnis haben und dieser Gruppe beitreten, startet die Absicherung. So entstehen völlig individuelle und neue Absicherungen. In einer nächsten Entwicklungsphase schaffen wir daraus skalierbare Produkte.

Kennen sich die Leute in einer Gruppe?

Bislang kennen sich die meisten Menschen in einer Gruppe – denn Freunde werben Freunde. Wenn man mit Freunden und Bekannten in einer Gruppe ist, entsteht natürlich ein hohes Vertrauen. Allerdings haben wir auch einige Beispiele von Menschen, die einer Gruppe von unbekannten Peers beigetreten sind, und das hat bisher immer hervorragend funktioniert. Durch die hohe Transparenz kann jede*r sehen, was in der Gruppe passiert und wie sich die Peers verhalten. Misstrauen und Betrug entstehen vor allem bei Intransparenz und Machtgefälle.

Wir forschen gerade daran, welche Werte, Hobbies oder Leidenschaften man mit einer Gruppe von unbekannten Menschen teilen muss, um ihnen im Grundsatz zu vertrauen.

Lunkas Kunert hält zu unserem Partnerkongress einen Vortrag zu „Versicherungsgedanke 4.0 – Absicherung von Mensch zu Mensch und was Versicherer damit zu tun haben“

Wie kommt es von der Idee zum tatsächlichen Versicherungsprodukt?

Die ersten Absicherungsangebote haben wir basierend auf unserer Erfahrung und Marktanalyse erarbeitet, bei vielen anderen Angeboten kam der Impuls von den Kunden*Innen.

Wir verstehen uns als eine Ermöglichungs- und Gestaltungsplattform und freuen uns sehr, wenn Kunden*Innen die Initiative ergreifen und wir sie bei der Entwicklung der neuen Angebote unterstützen können.

Ein tolles Beispiel der letzten Zeit ist die Anfrage von FridaysForFuture. Aus dieser ist der elinor-Solidarfonds für die FridaysForFuture-Rechtshilfe entstanden – ein Fonds, aus dem die Busgelder und Rechtsberatungskosten gemeinsam und solidarisch von den Bewegungsmitgliedern*Innen getragen werden. Interessanterweise wurde dieser Fonds auch von vielen externen Unterstützern*Innen mit freien Schenkungen ausgestattet. Jetzt muss kein Schüler*in mehr Angst haben, das Bußgeld alleine tragen zu müssen.

Ein anderes Beispiel ist ein Netzwerk aus schwerbehinderten Unternehmer*innen, die sich ein Krankentagegeld wünschen, aber von den klassischen Versicherungen oft abgelehnt werden. Hier geht es um Beratung und finanzmathematische Unterstützung. Dass eine kleine Peer-to-Peer-Gruppe keine absolute hundertprozentige Sicherheit bietet, ist in solchen Fällen nicht so relevant: Es geht um Empowerment!

Wie findet ihr weitere Mitglieder für eine Gruppe?

Die Mund-zu-Mund-Propaganda ist sehr wirksam. Nichts macht bessere Werbung für eine elinor-Gruppe als eine Erfolgsgeschichte von einem Freund, dessen Handy auf einer Reise kaputt gegangen ist, und der Peer Group, die die Schadensumme innerhalb weniger Stunden ausgezahlt hat. Beeindruckend sind aber auch die Erlebnisse der Menschen, die ihrem Peer in der Situation geholfen haben – denn Helfen macht glücklich!

Wir arbeiten gerne mit bereits existierenden Gruppen von Menschen zusammen, die ein gleiches Hobby haben, z. B. im selben Mountainbike-Verein sind oder ähnliche Werte teilen, wie z. B. Umweltschutz. Aktuell entwickeln wir gemeinsam mit bestehenden Organisationen Angebote, die sie ihren Mitgliedern, Kunden oder Partnern machen können, um so ihr „Community of Trust“ weiter zu stärken.