Was kann man von internationalen Mitbewerbern auf dem lokalen Markt erwarten?

Vincent und Mathias

Typ:
Blogartikel
Rubrik:
Analytik & IT
Themen:
GAFA
Was kann man von internationalen Mitbewerbern auf dem lokalen Markt erwarten?
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Das Akronym GAFA für Google, Amazon, Facebook und Apple geistert bereits seit einiger Zeit durch die Assekuranz. Auch wenn noch keines der vier großen Tech-Unternehmen in Deutschland in den Versicherungsmarkt eingetreten ist, haben doch alle gehörig Respekt vor den möglichen Folgen. Vincent Wolff-Marting und Mathias Bock von den Versicherungsforen Leipzig haben kürzlich dem Online-Magazin „The Digital Insurer“ ein Interview dazu gegeben, was den deutschen Versicherungsmarkt für internationale Markteinsteiger so interessant macht und welche strategischen und operativen Risiken ausländische Unternehmen möglicherweise auf dem deutschen Markt erwarten.

Die Originalfassung des Interviews in englischer Sprache ist auf „The Digital Insurer“ online: https://www.the-digital-insurer.com/digital-germany/second-issue-of-german-newsletter/

Die Versicherungsforen Leipzig sind ein Dienstleister für Forschung und Entwicklung in der Assekuranz. Wie würdet ihr den Gründungsgedanken und die Forschungsschwerpunkte der Versicherungsforen beschreiben? Die letzten fünf bis sieben Jahre haben ja einen exponentiellen Innovationsgrad in der Branche gezeigt!

Vincent Wolff-Marting: Die Versicherungsforen Leipzig wurden als unabhängiges Forschungs- und Entwicklungsinstitut für die DACH-Versicherungswirtschaft gegründet. Wir haben über die Jahre ein aktives Netzwerk von Versicherern, Vermittlern, Lieferanten und Dienstleistern aufgebaut. Mit unseren Aktivitäten und Veranstaltungen wollen wir dabei die erweiterte Wertschöpfungskette abdecken. Basierend auf unseren Untersuchungen können wir den Anstieg zahlreicher innovativer Ansätze durchaus bestätigen. Bestehende und neue Akteure experimentieren mit Technologien, Produkten und sogar Geschäftsmodellen. Es gibt hohe Erwartungen an die Art grundlegender Veränderungen, wie wir sie in anderen Branchen erlebt haben. Andererseits ist die Einstellung bzgl. Wandel in unserer Branche oftmals eher zögerlich. Schließlich ist Versicherung ein eher langfristiges Geschäft.

Durch Produkt- und Customer-Experience-Innovationen ist Deutschland sowohl Hot Spot für ausländische Direktinvestitionen, wie z. B. die strategische Investition von Ping An in Finleap, als auch Ziel multinationaler Unternehmen zur Marktexpansion durch die Nutzung ihrer strategischer Vorteilsressourcen, z. B. dem Kundenstamm, geworden. Tatsächlich sehen wir bereits eine Reihe von „heißen“ Kandidaten für einen sofortigen Markteintritt in der europäischen Versicherungsbranche. Welche Ziele verfolgen ausländische Investoren damit?

Mathias Bock: Im Moment scheinen viele Investitionen darauf abzuzielen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Investoren legen Grundlagen und sammeln Erfahrungen für mögliche weitere Vorhaben. Wir gehen davon aus, dass potenzielle Marktteilnehmer sich den Besonderheiten des Marktes und insbesondere der Komplexität der Regulierung sehr bewusst sind. Sie werden vorhergehende Versuche wie Google Compare analysiert haben und sich der niedrigen Margen bewusst sein, die Versicherungsprodukte aktuell bieten. Aus nationaler Sicht streben sie wahrscheinlich nach Wachstum und Diversifizierung.

Gleichzeitig erhöhen marktspezifische Faktoren, wie z. B. die Wirtschaft und die Politik, die Attraktivität für Markteinsteiger in Deutschland. Was ist das Ergebnis der diesbezüglichen Forschung der Versicherungsforen Leipzig?

Vincent Wolff-Marting: Für Unternehmen, die in den europäischen Markt einsteigen wollen, könnte Deutschland ein guter Ausgangspunkt sein. Es ist ein ziemlich großer und finanzstarker Markt, der sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus politischer Sicht stabil ist. Deutschland wird als „sichere Bank“ wahrgenommen, während die wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten international zunehmen (Niedrigzinsen, drohende Handelskriege, wachsende Staatsverschuldung). Einige Analysten sind der Meinung, dass die deutsche Versicherungswirtschaft für Disruption bereit ist, da Prozesse und Produkte seit Jahrzehnten eher statisch sind. Die deutschen Versicherungsunternehmen scheinen bei der digitalen Transformation besonders langsam zu sein – es könnte also einige Möglichkeiten geben, sie mit neuen Ideen zu überholen. Auf der anderen Seite wächst der Markt nicht mehr, aber das könnte daher rühren, dass die Marktdurchdringung in den meisten Sparten der Privatversicherung auf einem niedrigen Niveau stagniert.

Können wir absehen, dass die Versicherungslandschaft in Deutschland eine zunehmende Konsolidierung erfahren wird?

Vincent Wolff-Marting: Wenn wir über Risikoträger allgemein sprechen, denke ich, dass die Konsolidierung weiter fortschreiten wird – unabhängig von möglichen neuen Marktteilnehmern. In der Vergangenheit gab es eine große Anzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Industrialisierung und Digitalisierung haben aber das Betriebsoptimum verändert, sodass wir in Zukunft mit Fusionen und Übernahmen, möglicherweise auch mit Abwicklungen rechnen müssen. Erfolgreiche Markteintritte könnten diesen Prozess sogar beschleunigen. Betrachtet man auch Makler, Agenten und Dienstleister, wird das Bild vielfältiger. Wir sehen einen Rückgang der herkömmlichen niedergelassenen Vermittler, der so weitergehen wird, einfach weil diese in den Ruhestand gehen. Digitale Dienstleistungen und Start-ups sind vorerst auf dem Vormarsch, aber wir erwarten auch in diesem Bereich einige „Winner takes it all“-Effekte und Konsolidierungen.

Mathias Bock: Wir müssen zugeben, dass unsere internationalen Recherchen auf die großen Player ausgerichtet sind. Wir erwarten allerdings keinen Ansturm internationaler Start-ups auf den deutschen Markt, da die Regulierung ihnen das Leben schwer machen würde. Wir betrachten inländische Start-ups und InsurTechs unabhängig voneinander, erwarten aber nicht, dass diese die bestehende Konsolidierung langfristig kompensieren werden.

Würden Sie sagen, dass die zunehmende (Binnen-)Marktkonsolidierung als eine Art Verteidigungsmechanismus gegen Übernahmen ausländischer Unternehmen und zur Erhaltung der lokalen Marktrentabilität (möglicherweise als Ausgleich für niedrige Renditen, insbesondere im Lebensversicherungsgeschäft) angesehen werden könnte?

Welche Marktteilnehmer und Branchen versuchen sich, Ihren Recherchen zufolge, hauptsächlich  an einem Markteintritt?

Mathias Bock: Wir vermuten Online-Händler und Finanzunternehmen. Online-Händler können ihre bestehenden Angebote erweitern und dem Kunden einen Mehrwert bieten. Was Finanzunternehmen betrifft, beobachten wir genau, was chinesische Versicherer wie Zhong An und Ping An tun, während sie mit digitalen Produkten und Angeboten in ihren Heimatmärkten experimentieren. Diese unterscheiden sich wesentlich von den klassischen Angeboten der westlichen Märkte. Es ist schwer vorherzusagen, welche beliebten Produkte aus ausländischen Märkten tatsächlich auch in anderen Märkten funktionieren können – aber wenn sie es können, werden die etablierten Unternehmen nicht in der Lage sein, schnell genug aufzuholen. Online-Handelsunternehmen wie Amazon oder Alibaba (über die seit einiger Zeit gemunkelt wird, dass sie in den europäischen Einzelhandel einsteigen wollen) können auf einen hervorragenden Kundenzugang bauen. Die Kundenzufriedenheit ist sehr hoch, besonders wenn es um die Abwicklung von Retouren geht. Potenzielle Kunden werden wahrscheinlich auf eine ähnlich schnelle und zufriedenstellende Abwicklung von Versicherungsfällen vertrauen. Es wird ein großer Vorteil sein, dass der Durchschnittskunde regelmäßig positive Dienstleistungen erfährt, im Gegensatz zu bestehenden Versicherungsgesellschaften, die manchmal jahrelang keinen relevanten Servicekontakt haben. Wenn ein Online-Händler die Mehrheit der Einkäufe eines bestimmten Kunden abwickelt, könnte er allerdings eine Risikodeckung auf neuartige Weise anbieten: Wenn Kunden eine verlängerte und umfassende Risikodeckung für alles, was sie kaufen, erhalten, benötigen sie dann noch eine herkömmliche Hausratversicherung?

Es ist bekannt, dass Amazon sowohl über die finanziellen Mittel als auch über die relevanten Daten verfügt, die für den Eintritt in die Versicherungsbranche erforderlich sind. Auch asiatische Unternehmen verfügen über finanzielle Mittel. Durch die Zusammenarbeit mit Technologieunternehmen können sie relevante Daten erhalten: Tencent und die Alibaba Group haben zufällig in Zhong An investiert.

Nicht zuletzt ist die Dynamik von Neueinsteigern oder Partnerschaften wie internationale Joint Ventures von unvorhersehbaren Faktoren umgeben. Gegen den Druck, lokale Marktkenntnisse zu erwerben, werden ausländische Partner sicherlich strategische Ressourcen in einem Umfang anbieten, der von Innovation bis hin zur Finanzkraft reicht. Was glauben Sie, welche strategischen und operativen Risiken umgeben ausländische Unternehmen im DACH-Markt?               

Vincent Wolff-Marting: Soweit wir wissen, sind die etablierten Unternehmen mehr als bereit, mit neuen Marktteilnehmern zusammenzuarbeiten. Wir sehen große Investitionen der DACH-Versicherer in InsurTechs und Start-ups im Allgemeinen, sowohl international als auch national. Wir erleben bei unseren Veranstaltungen ein großes Interesse an neuen Ideen und neuen Akteuren. Aus Sicht der neuen Marktteilnehmer können Joint Ventures sehr sinnvoll sein, um regulatorische Fragen zu lösen. Allerdings haben wir wenig Hinweise darauf, welche Art von Markteintritt internationale Akteure tatsächlich wählen werden. Wenn sie auf einen aggressiven Einstieg drängen, könnten die etablierten Versicherungsunternehmen interessante Zeiten erwarten.

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