Die Initiative Defino will durch Standardisierung der Finanzberatung den Verbraucherschutz verbessern. Doch was nützen solche Vorhaben Beratern und Verbrauchern wirklich? Wir haben die Initiative mal unter die Lupe genommen und verraten, was wir davon halten. Zudem zeigen wir, was die PROGRESS-Beratung mit der DIN gemeinsam hat.
Die Initiative Defino, bestehend aus Vertretern der Finanzwirtschaft, von Universitäten und der Stiftung Warentest, hat es sich zum Ziel gesetzt, Standards für die Finanzberatung privater Haushalte zu erarbeiten. Damit soll die Beratung vereinheitlicht und so deren Güte objektiv überprüfbar werden. Dafür ermittelt die Initiative objektive, neutrale und wissenschaftlich geprüfte Zielgrößen und erstellt eine entsprechende Priorisierung. Der Verbraucher profitiert von einer besseren Beratungsqualität und der Berater von Leitlinien anhand derer er seine Empfehlungen entwickeln kann.
Was ist eine DIN SPEC?
Die ersten Schritte hat Defino bereits hinter sich: Anfang 2015 wurde die DIN SPEC 77222 verabschiedet. Das ist zwar noch keine Norm wie z. B. DIN A4, also die einheitliche Größe von Papier, aber eine Art Vorstufe. Während bei einer DIN-Norm alle betroffenen Parteien eine gemeinsame Lösung finden müssen, was angesichts des breiten Spektrums der Finanzberatung sehr lange dauern könnte, ist dies bei der DIN SPEC nicht nötig. Bei einer DIN SPEC handelt es sich vielmehr um eine Spezifikation. Da auch z. B. die Stiftung Warentest oder Verbraucherschützer Defino tragen, sind die Interessen der Verbraucher aus unserer Sicht ausreichend berücksichtigt.
Was ist der Inhalt?
Die DIN SPEC 77222 stellt einerseits notwendige Parameter wie z. B. Inflation oder die Entwicklung der Einkommen auf. Diese werden durch belegbare Quellen wie z. B. das Statistische Bundesamt untermauert. Solche Parameter sind notwendig, um beispielsweise eine Ruhestandsplanung vorzunehmen. Damit wird verhindert, dass der Berater für die Berechnung utopische Werte einsetzt, um mehr Produkte zu verkaufen. Andererseits wird eine Priorisierung der abzusichernden Risiken aufgestellt, denn es ist nicht zweckmäßig oder bezahlbar jedes mögliche Risiko zu versichern. Deswegen ist es sinnvoll, mit den größten Risiken zu beginnen, bevor man sich weniger schwerwiegenden Themen widmet.
Interessant finden wir den Ansatz der drei Bedürfnisstufen. Diese sind finanzielle Grundbedürfnisse, Erhaltung des Lebensstandards und die Verbesserung des Lebensstandards. Der Verbraucher weiß also genau, welcher Ebene die Themen zugeordnet sind.
Darüber hinaus definiert die DIN SPEC 77222 die Zielgrößen wie Versicherungssummen oder die Höhe des Notgroschens. So sollen Über- aber eben auch Unterversicherungen vermieden werden.
Die Bestätigung der PROGRESS-Beratung
In der nachfolgenden Tabelle haben wir die Themen und die Priorisierung aus der DIN SPEC 77222 unserem Beratungsansatz gegenübergestellt. Grün steht dabei für identische, gelb für eine ähnliche und rot für eine abweichende Priorisierung.
Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass unser PROGRESS-Modell zu ca. 80 Prozent mit der DIN SPEC 77222 übereinstimmt.
Die Wissenschaft sagt beispielsweise, dass die Haftpflicht und die Arbeitskraftabsicherung (Berufsunfähigkeit und Ausweichlösungen) als allererstes zu berücksichtigen sind. Die Sicherstellung der Liquidität, also Entschuldung des Dispokredits und der Aufbau des Notgroschens stehen folgerichtig an zweiter Stelle. Ganz ans Ende setzt Defino Themen wie Zahnzusatz oder Rechtsschutz. Auch dies bestätigt unser Vorgehen.
Die Grenzen der DIN SPEC 77222
Die DIN SPEC 77222 gibt gewisse Leitlinien vor. Sie geht jedoch nicht in die Tiefe der Beratung und Tarife. So trifft sie beispielsweise keine Aussagen über Mindestanforderungen an die Tarife wie notwendige Klauseln oder unerwünschte Ausschlüsse. Hier liegt es im Ermessen des Beraters bzw. Vermittlers geeignete Lösungen auszuarbeiten und dem Kunden entsprechende Versicherungen anzubieten. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit abstrakter Verweisung beispielsweise dürfte deutlich weniger geeignet sein, die Arbeitskraft des Kunden abzusichern, als eine BU, die darauf verzichtet.
Verschweigen möchten wir aber die Abweichungen des PROGRESS-Ansatzes zu der DIN SPEC der Defino-Initiative selbstverständlich nicht. So wird der Altersvorsorge eine viel höhere Priorität eingeräumt, als wir für richtig erachten. Diese kommt noch vor dem Notgroschen, was wir für völlig falsch halten. Was bringt die Rentenversicherung, wenn ich spontan Geld für die kaputte Waschmaschine oder eine kurze Arbeitslosigkeit brauche? Hier sollte nachgebessert werden. Das Ansparen für größere Anschaffungen steht ganz am Ende der Liste. Das geht aus unserer Sicht völlig an der Realität vorbei. Es ist sinnvoller, auf größere Investitionen wie einen Umzug oder ein neues Auto zu sparen, als von Finanzierung zu Finanzierung zu rennen. Die Hinterbliebenenvorsorge und Absicherung der Kinder bekommt bei uns dagegen ein höheres Gewicht. Damit wollen wir die Benachteiligung vor allem der Frauen aufgrund geringerer Einkommen ausreichend berücksichtigen. Wir halten es für absolut wichtig, dass die Hauptverdiener – eben meistens die Männer –ausreichend für ihre Familie vorsorgen.
Fazit
Wir begrüßen ausdrücklich diese Initiative. Eine Standardisierung nach wissenschaftlichen Anforderungen tut der Branche und dem Verbraucherschutz gut. Die Ergebnisse bleiben individuell und orientieren sich ausschließlich an den erhobenen Kundendaten. Allerdings und das ist der große Unterschied, sind die Ergebnisse einer Beratung unabhängig davon, wer sie erstellt. Eine Manipulation, um z. B. mehr Produkte zu verkaufen, ist nicht möglich. Der Berater gewinnt durch eine Standardisierung ebenfalls Sicherheit und kann sich so eher auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden konzentrieren. Dennoch halten wir die Priorisierung wie oben gezeigt für noch nicht ausgereift.
Danke für diese Zusammenfassung. Das ist auf jeden Fall ein spannender Ansatz. Ob man damit Verbrauchern wirklich helfen kann, bezweifel ich aber. Wie im Artikel richtig gesagt, liegt der Teufel wie immer im Detail der Produkte!
Dass Altersvorsorge eine höhere Priorität erhält, finde ich ansonsten gar nicht so verkehrt. Allerdings sehe ich diesen Punkt für die meisten durch die gesetzliche Rente abgedeckt. Die private Altersvorge/ Vermögensbildung kann dann erst nach der Sicherung der Liquidität erfolgen, sollte aber am Ende nicht „vergessen“ werden.
Hallo Rico,
es handelt sich aus unserer Sicht eher um eine Art Leitplanke, die den Vermittlern/Beratern und Verbrauchern etwas Sicherheit geben soll. Der DIN-Standard könnte, sofern korrekt umgesetzt und angewendet, die strategische Finanzplanung einrahmen. Die korrekte Produktauswahl und Festlegung von Versicherungssummen obliegt dann noch immer dem Vermittler/Berater, da das viel individueller ist.
Gerade der Punkt Altersvorsorge zeigt es. Es ist sinnvoller, zunächst Schulden zu tilgen und Liquidität aufzubauen und erst später fürs Alter vorzusorgen. In der Vergangenheit wurden Altersvorsorgen verkauft, ohne auf Schulden und Rücklagen einzugehen. Das ist ein eklatanter Fehler in der BEratung und strategischen Finanzplanung. Hier könnte der DIN-Standard Abhilfe schaffen.
Viele Grüße
Tom Wonneberger
Autor